Autonomous Systems

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Ausgangspunkte

Auch wenn wir uns an die inflationäre Verwendung von Begriffen wie “Autonomes Fahrzeug” oder “Autonome Waffensysteme” längst gewöhnt haben, und vielen von uns auch die Rede von der “Autonomie des Kunstwerks” vertraut ist, wird einem bei näherer Beschäftigung schnell bewusst, dass sich hinter dem Begriff Autonomie ein ganzes Themenfeld verbirgt. Die Spannweite reicht dabei von Kunsttheorie über Maschinenphilosophie, von Systemtheorie über Gesellschaftsfragen, von der Eigengesetzlichkeit der (menschlichen) Wahrnehmung bis hin zu generativen Algorithmen und selbstreplizierenden Strukturen wie z.B. Fraktalen und Feedbackschleifen. Fragen wie “was sind Systeme und wie interagieren sie miteinander?” weisen hin auf die Spannung zwischen Selbstbestimmung, Eigengesetzlichkeit und (selbst)gewählten Spielregeln und Verhaltensweisen.

In einer offenen Arbeitsgruppe haben wir uns bei mur.at über anderthalb Jahre diesem Themenkomplex gewidmet, uns mit philosophischen und technischen Aspekten autonomer Systeme auseinandergesetzt und gestalterische Umsetzungsformen erprobt. Dabei wurde der Autonomiegedanke auf verschiedenen Ebenen in die Praxis übersetzt:

Als soziales Paradigma entwickelten wir einen Arbeitsablauf, in dem alle Mitglieder* eigenständig Ideen und Inputs entwickelten, die nach einem gemeinsam entworfenen Muster miteinander ausgetauscht und weiter bearbeitet wurden. Inspiriert haben uns dabei Projekte wie die iterations. Über mehrere Iterationen hinweg entstanden so eine Vielzahl individueller und kollektiver Arbeiten, in welchen die einzelnen Ideen und Bestandteile teils für sich wahrnehmbar sind, teils zu einem Meta-System verschmelzen in dem sich alle Komponenten gegenseitig beeinflussen.

Als gestalterisch-technische Paradigmen von Autonomie konzentrierten wir uns auf zwei Verfahren, mit denen wir reihum auf je unterschiedliche Weise arbeiteten: (akustisches / visuelles) Feedback und generative Algorithmen. Uns interessierte dabei die gegenseitige Beeinflussung von Mensch und Maschine, bzw. Maschine und Umwelt, und die Frage wie analoge oder digitale Mechanismen uns selbst und unsere Umweltwahrnehmung beeinflussen.

Als inhaltlicher Impuls für eine poetisch-kreative Auseinandersetzung begleitete uns Richard Brautigans Gedicht von 1969 “All Watched Over By Machines Of Loving Grace”, auf den auch Adam Curtis' bekannte Dokuserie zur Ideologie des Silicon Valley verweist. Brautigan entwirft eine kybernetische Fantasie, in der Maschinen, Menschen, Tiere und Pflanzen harmonisch zusammenleben - eine Utopie, die aus der Sicht der heutigen digitalisierten Gesellschaft höchst kritisch betrachtet werden muss. Dennoch fasziniert in diesem Gedicht die Spannung zwischen den starken Bildern und Metaphern und der Brisanz des Inhalts.

Die Frage danach, ob und wie sich eine “kybernetische Ökologie” künstlerisch gestalten lässt, wurde zum Leitthema einer Ausstellung, mit der das Projekt im Juli 2021 ein vorläufiges Ende fand. Begleitend zum Projekt wurde ein Projektblog geführt, in dem Gedanken, Ideen, Zwischenschritte und Fragen eine fortlaufende Prozessdokumentation bilden.

Aktivitäten und Ergebnisse

Anfangsimpuls für die erste Iteration des Projekts, an der seit Sommer 2020 gearbeitet wurde, war die Frage: “Was ist das autonome Selbst?” Eine vorläufige Antwort könnte lauten: “Das autonome Selbst be-/über-schreibt sich ständig selbst.” Aus individuell erarbeiteten Klangelementen, die innerhalb der Gruppe wiederholt überarbeitet und re-remixed wurden, entstand eine kollektive Soundarbeit, #unSELFed, die innerhalb des Radiokunstfestivals “art’s birthday” am 14. Jänner 2021 ausgestrahlt wurde. Dabei verwendeten wir verschiedene Klangsyntheseverfahren und Algorithmen zur Text- und Spracherzeugung.

In der zweiten Iteration ging es um das Thema Systeme und Interaktion. Dabei entstand eine kollektive Klanginstallation, “tied apart”, die aus mehreren Subsystemen besteht, die in einem gemeinsamen physischen Raum - einem akustischen Instrument - miteinander in Beziehung treten. Jedes System für sich bringt eigene Qualitäten mit: eine Musiksoftware, die Kanons generiert, eine Roboterinstallation mit Motoren, die Text in rhythmische Patterns übersetzen, ein Feedbacksystem das die akustische Umgebung abtastet, ein Satellitenradioempfänger und ein automatisiertes Raumklangsystem. Die Installation ist sowohl ein bespielbares Meta-Instrument als auch ein autonom agierendes System, das aus sich stets neue Klangkonstellationen erzeugt.